Was wollen Queere?

Queer ist mittlerweile zu einem Modewort geworden und wird vielschichtig verwendet und oftmals missverstanden.

Autor: Josef Mühlbauer (Wien)

Abstract/Zusammenfassung:

Queer ist mittlerweile zu einem Modewort geworden und wird vielschichtig verwendet und oftmals missverstanden. Die einen sehen hier eine große Gefahr für die moralische Vorstellung einer Gesellschaft und die anderen sehen eine kritische Haltung und eine Befreiung. Dieser Beitrag soll den Begriff klären und einen Überblick über diese Bewegung darbieten.

Einleitung

Der Begriff „queer“ hat sich im Laufe der vergangenen Jahre verändert, er hat verschiedene Bedeutungen angenommen und ist mittlerweile in aller Munde. Anfänglich war der Begriff „queer“ als Schimpfwort gedacht, um Menschen, die „anders“ sind, zu beleidigen. Es war also ein abwertender Begriff. In den letzten Jahrzehnten jedoch wurde dieser Begriff von Aktivist:innen quasi „zurückerobert“ und hat mittlerweile – zumindest in der linken Szene – eine positive Konnotation. Im Folgenden sollen die zentralen Elemente, aber auch manche Missverständnisse erläutert werden.

Josef Mühlbauer (Wien) 

Queer als kritische und politische Haltung

Meiner Meinung nach ist das stärkste Argument für queere Ansätze ihre kritische Haltung gegenüber Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Oftmals missverstanden als eine persönliche Einstellung, Lebensstil oder sexuelle Orientierung – was oft in eine Identitätspolitik führt – hat die queere Bewegung vor allem mit Namen wie Audre Lorde, Judith Butler und Michel Foucault einen sehr herrschaftskritischen Impetus. Es geht hierbei nicht darum, eine sexuelle Neigung über eine andere zu stellen. Es geht um eine kritische politische Haltung, die den gegenwärtigen Kapitalismus in Frage stellt, der kritisch gegenüber toxischer Männlichkeit bzw. dem Patriarchat (insbesondere dem Militär) ist.

Queere Menschen kämpfen gegen jegliche Diskriminierung, sei es Rassismus, Sexismus oder Klassizismus. Die meisten queeren Menschen denen ich persönlich begegnet bin haben ein starkes Gefühl für Gerechtigkeit, sind sehr empathisch und feinfühlig. Viele davon sind gegenüber Massenbewegungen wie der PRIDE sehr skeptisch, da es eine kritische Haltung zu einem Lebensstil herunterbricht und da diese Veranstaltungen einen sehr kommerziellen Charakter haben, die sich wenig gegen andere Formen der Unterdrückung einsetzen.

Der Klassencharakter fehlt demnach vielen. Auf einer theoretisch-philosophischen Ebene geht es queeren Denker:innen darum, binäre Logiken von „gut“ und „böse“, „Mann“ und „Frau“ etc. zu dekonstruieren. Es wird darauf hingewiesen, dass durch diese Einteilung gewisse Prioritäten und somit Privilegien verbunden sind, die wiederum ein Ausdruck von Macht- und Herrschaft sind. Prof. Heinz-Jürgen Voß (2022) verbindet diese Kritik mit einer Kritik an unserer Produktions- und Konsumweise. Hier werden egozentristische Ansätze, militärische Logiken, herrschaftsförmige Systeme und auch sexuelle und sonstige Formen der Unterdrückung stark kritisiert. Das Ziel dieser Bewegung oder auch dieses theoretischen Ansatzes ist das Näherrücken an eine egalitäre Gesellschaft, wo jeder Mensch sein Potenzial entfalten kann, wo wir nicht nur de jure vor dem Gesetz gleich sind, sondern auch de facto (mit Blick auf wirtschaftliche und politische Macht).

Auf der anderen Seite wird queer immer mehr zu einer Identitätszuschreibung. Es wird als persönliche Einstellung definiert. Heute Mann, morgen Frau und übermorgen Trans. Leider wurde diesbezüglich Judith Butler falsch verstanden, als sie meinte, Geschlecht ist ein performativer Akt, den man täglich wiederhole. Sie meinte, Geschlecht hat keine fixe Identität, sondern wird erst konstruiert durch eine wiederholte Handlung und durch gesellschaftlich akzeptierte Praktiken. Geschlecht hat kulturelle Aspekte, die den Normen der jeweiligen Gesellschaft entsprechen. Wie sich eine Frau „richtig“ benimmt. Ob ein Mann sich überhaupt die Nägel lackieren darf. Welche Rollen die jeweiligen Geschlechter innerhalb der Gesellschaft, aber vor allem innerhalb der Familien einnehmen. Historisch betrachtet waren Frauen aus dem politischen Leben ausgeschlossen, sie waren im wahrsten Sinne des Wortes an ihren oder an den Mann gebunden.

Daher trägt diese Art des Feminismus deutlich dazu bei, unsere demokratischen Werte hochzuhalten! Zur Identitätspolitik wird dieser Begriff bzw. diese Bewegung, wenn man einzelne Kategorien gegeneinander ausspielt. So z. B. wird der Klassenaspekt oftmals ausgelassen. Aber was ist wichtiger, einen gerechten Lohn zu erhalten damit ich überlegen kann oder die Farbe meiner Fingernägel? Die Politologin Nancy Fraser (Anmerkung der Redaktion: Nicht zu verwechseln mit Nancy Faeser, der deutschen Innenministerin) hat es mit dem Begriff „progressiver Neoliberalismus“ völlig auf den Punkt gebracht: „Dennoch ist Trumps Sieg nicht nur eine Revolte gegen die globale Finanzwelt. Was seine Wähler ablehnten, war nicht der Neoliberalismus, sondern der progressive Neoliberalismus. Für manche mag das wie ein Oxymoron klingen, aber es ist eine echte, wenn auch perverse politische Ausrichtung, die den Schlüssel zum Verständnis der US-Wahlergebnisse und vielleicht auch einiger Entwicklungen anderswo darstellt. In seiner US-amerikanischen Form ist der progressive Neoliberalismus eine Allianz aus Mainstream-Strömungen neuer sozialer Bewegungen (Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und LGBTQ-Rechte) auf der einen Seite und hochwertigen „symbolischen“ und dienstleistungsbasierten Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley und Hollywood) andererseits. In diesem Bündnis werden fortschrittliche Kräfte wirksam mit den Kräften des kognitiven Kapitalismus, insbesondere der Finanzialisierung, vereint. Allerdings verleihen Erstere unwissentlich Letzteren ihr Charisma.

Ideale wie Diversität und Empowerment, die im Prinzip unterschiedlichen Zielen dienen könnten, beschönigen heute Richtlinien, die das verarbeitende Gewerbe und das Leben der einstigen Mittelklasse zerstört haben.“ Die Kritik die, Fraser hier äußert, zielt darauf, zu zeigen, dass unter den Gesichtspunkten von Kapitalismus, Militarismus und Neoliberalismus sich nicht nur Konzerne und politische Eliten zusammentrommeln, sondern eben auch die progressiven, linken Slogans kooptieren. Dieser scheinbar progressive Neoliberalis2024mus ist ein Eckpfeiler der Identitätspolitik und steht im Widerspruch zu den von mir eingangs erwähnten kritischen Haltungen queerer Bewegungen. Auch wenn es in dieser Kürze hier vereinfacht dargestellt wurde und einige zentrale Argumentationslinien fehlen, so ist doch deutlich zu unterstreichen, dass die queere Bewegung nicht ein homogenes Feld ist.

Quelle & Quellenangaben: siehe MITMENSCHENREDEN (Ausgabe 2024-01, Seite 19).

Dieser Artikel wurde am 15.09.2024 veröffentlicht in MITMENSCHENREDEN – Magazin für Mensch & Gesellschaft (Ausgabe 2024-01).

Anmerkung von Ralf M. Ruthardt:

Herzlichen Dank an Josef Mühlbauer für seinen aufschlussreichen Artikel. Ich bin sehr dankbar, dass er sich mit mir zum Gespräch in Wien (Sommer 2024) getroffen hat und zu MITMENSCHENREDEN mehrere Artikel beiträgt. Es ist wichtig, dass man nicht in der eigenen „Bubble“ verharrt, sondern wir uns auf den Weg machen und das Gespräch suchen. Dies ermöglicht ein einander Verstehen – und versachlicht den gesellschaftlichen Diskurs.

Mir ist es ein Anliegen, dass die Motive der queeren Bewegung eingeordnet werden können. Dazu leistet der Artikel von Josef Mühlbauer einen wichtigen Beitrag.

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Kontakt: Ralf M. Ruthardt | https://ruthardt.de | newsletter@ruthardt.de

 

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