von Josef Mühlbauer
Die Partei DIE LINKE, aber auch linke gesellschaftliche Strömungen und Bewegungen sind angesichts des derzeitigen Ukrainekriegs gespalten. Die Debatte verläuft entlang mehrerer Linien, die ich im folgenden Beitrag genauer beschreiben möchte. Es geht also nicht nur um die Frage, ob und welche westlichen Waffen geliefert werden sollen, sondern auch um die Perspektiven auf das russische System und die NATO sowie mögliche Eskalationspotenziale. Darüber hinaus ist man sich nicht einig, was die Ursachen des Krieges betrifft.
Einleitung
Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine hat seit der brutalen und ebenso völkerrechtswidrigen Invasion der NATO in Serbien wieder den Krieg nach Europa gebracht. Damit einher gehen Ängste, Unsicherheiten und eine medial polarisierte Debatte. Auch innerhalb linker Kreise findet eine hitzige Debatte statt. Freundschaften gehen auseinander, Parteiaustritte aus DIE LINKE und zahlreiche Diskussionen sind nur einige wenige Beispiele dieser Zerrüttung. Während diejenigen, die für Waffenlieferungen plädieren, als „NATO-Linke“ abgestempelt werden, werden die Gegner:innen als „Putin-Knechte“ oder „Unterwerfungspazifisten“ markiert (Solty 2024: 31). Im Folgenden sollen einige Punkte der Debatte aufgemacht und beschrieben werden.
Über was wird eigentlich gestritten?
Zu den Ursachen:
Linke Akteure, Politiker:innen, aber auch Aktivist:innen sind sich in der Frage der Kriegsursachen nicht einig. Die Ursachen des Krieges werden von einigen alleine bei Putin verortet. Der sei irrational, unvernünftig und handle aus imperialen Ambitionen heraus. Diese linksliberale Erklärung der Ursachen des Krieges greift jedoch deutlich zu kurz. Andere Teile der Linken argumentieren hingegen, dass der Konflikt sehr wohl vom Westen ausgelöst wurde, der Krieg jedoch öffentlich von Russland gestartet wurde. Das heißt, hier unterscheidet man zwischen dem Konflikt, der weit vor 2014 schon begann und dem aktuellen militärischen Eingreifen Russlands von 2022. Der Konflikt dieser Machtblöcke liegt darin, dass die Ukraine sich entscheiden musste, in welcher geopolitischen und wirtschaftlichen Einflusssphäre sie sein möchte. Es gab EU-Assoziierungsabkommen, NATO-Beitrittsverhandlungen und auf der anderen Seite Gas-Abkommen mit Russland und eurasische Freihandelsabkommen. Auch über den blutigen Umsturz der ukrainischen Regierung von 2014 am Maidan werden die verschiedenen Perspektiven auf diesen Krieg sichtbar. Einerseits gibt es jene Linke, die davon überzeugt sind, dass das Maidan-Massaker eine demokratische Revolution war, in dem der pro-russische Präsident gestürzt worden ist. Obwohl es natürlich eine breite Stimmung gegen die Oligarchen und gegen das Regime gab, war nicht die gesamte Ukraine der Meinung, dieser brutale Umsturz sei demokratisch und nicht vom Westen mitfinanziert bzw. mitinitiiert (man denke nur an Viktoria Nulands Aussagen über den künftigen ukrainischen Präsidenten). Sicherheitsinteressen Russlands, insbesondere der Frage der NATO-Osterweiterungen, wurden über Jahre hinweg schlichtweg ignoriert. Den Ausgang dieser Arroganz und Ignoranz haben wir bereits in Georgien gesehen. Es scheint eine rote Linie für das russische Regime zu sein. Doch sobald man diese Sicherheitsinteressen ernst nimmt, läuft man Gefahr, als „Putin-Versteher“ deklariert zu werden.
Perspektiven auf Russland:
Einige Linke haben eine russlandfreundliche Haltung, was auf die sozialistische Vergangenheit der DDR und die damaligen Beziehungen zur Sowjetunion zurückzuführen ist. Andere wiederum sehen einen Russofaschismus oder ein russisches Imperium, das die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion wieder etablieren möchte. Nimmt man die Position ein, dass Putin ein irrationaler Diktator ist, der ganz Europa einnehmen möchte, und zieht womöglich auch noch Putin-Hitler-Vergleiche in die Debatte, so scheint es ausweglos, eine Verhandlung mit solch einem Regime zu führen. Geht man jedoch davon aus, dass auch das russische Regime legitime Sicherheitsinteressen hat, dann kommt man einer diplomatischen Lösung näher.
Lösungen des Ukrainekriegs:
Nicht nur was die Ursachen des Krieges, sondern auch was die Lösungsansätze betrifft, sind linke Akteure gespalten. Eine linksliberale Argumentation sagt schlicht und einfach: „Wenn Putin seine Soldaten zurückzieht, ist der Krieg vorbei.“ Die Kehrseite davon könnte lauten: „Wenn der Westen, allen voran die USA, keine Waffen mehr liefert, ist der Krieg ebenfalls vorbei.“ Doch beide Argumentationen scheinen auf eine Maximalforderung abzuzielen. Wie in jedem Krieg gibt es eine moralisch-ethische und eine politische Abwägung. Moralisch sind sich alle Linken einig, dass dieser Krieg schwer zu verurteilen ist. Bis auf wenige Stalinisten, die diesen Krieg als Abwehrkampf gegen das westliche Imperium sehen, herrscht diesbezüglich Einigkeit. Doch politisch kommt man gegen eine Atommacht und eines der größten und mächtigsten Militärs der Welt nicht weiter, wenn man die eigenen Maximalforderungen (also völliger Abzug der russischen Truppen und die Abtretung der bisher eroberten bzw. annektierten Gebiete) in Betracht zieht. Beide Lager argumentieren hier absolut und zielen auf eine Niederlage des Gegners ab. Russland argumentiert hier mit „Entnazifizierung“ und die Ukraine bzw. der Westen strebt ebenfalls einen Regime-Change bzw. einen militärischen Sieg an. Demzufolge sehen viele Linke die einzige Lösung in einer militärischen Unterstützung der Ukraine und zwar „bis zum letzten Ukrainer“ (Chomsky). Ein anderer Teil lehnt Waffenlieferungen aus pazifistischen Gründen ab. Ein großer Teil lehnt Waffenlieferungen ab, weil es den Krieg verlängern und die geopolitischen Spannungen und das Eskalationspotenzial verschärfen würde. Ein kleiner Teil der Linken ist für defensive Waffenlieferungen damit die Ukraine ihr Recht auf Selbstverteidigung wahren kann.
Zusammenfassende Bemerkung
Das breite und bunte linke Spektrum ist kein homogenes Feld. Es herrscht in Bezug auf den Ukrainekrieg keine einheitliche Meinung. Die linksliberale Fraktion orientiert sich an der NATO-Agenda und ist bemüht, europäische Sicherheitsinteressen mit jenen der USA zu verbinden. Andere sehen den globalen Kapitalismus und Imperialismus als Hauptursache von Krieg und Ausbeutung. Doch abseits dieser theoretischen und ideologischen Überlegungen ist das linke Spektrum und auch die Partei DIE LINKE gespalten. Dies habe ich versucht, anhand der Ursachen des Krieges, anhand der verschiedenen Perspektiven auf die NATO und auf Russland und anhand der möglichen Lösungsansätze zu skizzieren.
Unterschiedliche Positionen zu verstehen bedeutet auch, sich die genauen Argumentationslinien anzusehen. Wir müssen aufpassen, nicht in ein Wunschdenken zu verfallen und eine der Kriegsparteien zu idealisieren. Auch dürfen wir nicht Gefahr laufen, diesen völkerrechtswidrigen Krieg in irgendeiner Form zu legitimieren. Dennoch müssen rasch Lösungen herbeigeführt werden, denn es sterben pro Tag Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Menschen! Und von der Gefahr eines Dritten Weltkriegs oder einer nuklearen Auseinandersetzung habe ich bislang noch nicht gesprochen. Doch dieses Eskalationspotenzial ist nicht zu unterschätzen!
Zum Autor: Josef Mühlbauer hat Politikwissenschaft und Philosophie in Wien studiert, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Empowerment for Peace und gab den Band „Kritische Friedensforschung“ (2024) heraus. YouTube: Varna Institute for Peace Research.
Hinweis: Der Artikel von Josef Mühlbauer ist in MITMENSCHENREDEN – Magazin für Mensch & Gesellschaft erschienen. Sie finden ihn in der Ausgabe 2024-04 (Dezember 2024). Gerne können Sie sich JETZT das Magazin KOSTENLOS herunterladen. Natürlich freuen wir uns über Abonnenten, die unsere Arbeit durch günstige 19,80 € für ein Jahresabo unterstützen.
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