Kathrin Henneberger war für Bündnis 90/DIE GRÜNEN von 2021 bis 2025 als Abgeordnete im Deutschen Bundestag und ist seit vielen Jahren als Klimaaktivistin tätig. Ende Februar 2025 hat Ralf M. Ruthardt mit ihr gesprochen. Das Gespräch bietet einen aufschlussreichen und nachdenkenswerten Perspektivenwechsel. Das Wechseln der Perspektive liegt Ruthardt als Herausgeber von MITMENSCHENREDEN bekannter Weise sehr am Herzen. Das Interview ist in der Ausgabe 2025-03 von MITMENSCHENREDEN erschienen, welches hier kostenlos bezogen werden kann: www.mitmenschenreden.de
Ralf M. Ruthardt | Ich freue mich sehr auf unser Gespräch, Kathrin Henneberger, und möchte mit Ihnen darüber nachdenken, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Erfolg einer klimagerechten Politik und dem Rechtsruck in Deutschland gibt. Vorbereitend zu unserem Gespräch habe ich in mein direktes Netzwerk hineingeblickt. Ich finde dort unterschiedliche Wahrnehmungen und daraus resultierend verschiedene Begrifflichkeiten, wie Klimagerechtigkeit, Klimawandel oder Klimakrise. Aber ich finde in meiner direkten Sphäre niemanden, der die Veränderungen des Klimas und einen menschengemachten Einfluss darauf – wie auch immer in der Dimension und in der Art und Weise – oder die Relevanz von erforderlichen Maßnahmen – auch hier, gleich welcher Art – in Frage stellen würde.
Daher frage ich mich, ob es überhaupt eine relevante Anzahl Menschen in Deutschland gibt, die Veränderungen des Klimas und ein – wie auch immer geartetes – Reagieren darauf bestreiten? Und: Wo ist der Zusammenhang zu dem, was man in Deutschland und darüber hinaus als Rechtsruck definiert?
Kathrin Henneberger | Der Rechtsruck und die Klimaleugnung hängen tatsächlich sehr eng zusammen. In meinem persönlichen Freundeskreis, das sind alles „grüne Gutmenschen“. Natürlich gibt es da niemanden, der die Klimakrise leugnet. Wenn ich jedoch die Kommentare unter meinen Inhalten auf Social Media sehe, dann lassen sich sehr viele Kommentare ganz klar der Klimaleugnung zuordnen.
Ralf M. Ruthardt |Sind das nicht die immergleichen, womöglich auch etwas seltsamen Menschen?
Kathrin Henneberger | Nein. Es gibt ein Gutachten der Freien Universität Berlin aus dem Sommer 2024. Man hat die letzten drei Jahre untersucht, und es ist leider tatsächlich so, dass sehr konkret die AfD seit ihrer Gründung mit den Klimaleugner-Think-Tanks aus den USA eng vernetzt ist. In den USA wurde in den 70er- und 80er-Jahren mit sehr viel Geld der fossilen Industrie diese Think-Tanks aufgebaut. ExxonMobil wusste damals, dass es die Klimakrise gibt. Sie hatten ja ihre eigenen wissenschaftlichen Daten. Sie haben mit Kampagnen den öffentlichen Diskurs beeinflusst, damit sie ihr Wirtschaften nicht verändern müssen.
Ralf M. Ruthardt | Sie meinen, es sind ähnliche Kampagnen gewesen, wie man sie aus der Tabakindustrie kannte?
Kathrin Henneberger | Ja, es ist eine durchaus ähnliche Strategie. – Also, die AfD war von Anfang an und ist immer noch mit diesen Think-Tanks sehr eng verbunden. Da gibt es Kongresse, wo sich klimaleugnerische Personen und Akteure treffen, vernetzen und sich Strategien überlegen. Klimaleugnung findet in der AfD bis heute in unterschiedlicher Weise statt.
Das reicht von Aussagen, dass es die Klimakrise gar nicht gibt, bis hin zu einem nicht von Menschen gemachten Klimawandel. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden als Religion angesehen, und das wird dann immer wiederholt. Es gibt regelmäßig Kampagnen von rechten Influencern und von rechten Nachrichtenportalen. In jedem Klima- und Energieausschuss im Bundestag habe ich erlebt, dass Abgeordnete von der AfD mit Klimaleugner-Sprüchen aufgefallen sind. Die Videoübertragungen der öffentlichen Sitzungen werden genutzt, um als Clips anschließend von der AfD in den sozialen Medien verbreitet zu werden.
Dabei gibt es den zwischenstaatlichen Sachverständigenrat für Klimaänderungen: Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) als ein wissenschaftliches Gremium sagt ganz klar, dass die Klimakrise menschengemacht ist.
Von der rechten Seite hört man jedoch zu den Klimaschutzmaßnahmen, dass diese nur getätigt werden, um Menschen zu kontrollieren, Lebensweisen zu kontrollieren, um eine Klimadiktatur einzurichten. Die AfD ist nicht nur eine Antimigrationspartei, vielmehr hat sie sich auch sehr klar zu einer Antiklimapartei entwickelt. Sie versucht, unsere Gesellschaft in Deutschland zu spalten, indem gesagt wird, Klimaschutz sei unsozial. Dabei ist Klimaschutz das Sozialste, was wir mit Blick auf unsere aktuellen Lebensverhältnisse und unsere Zukunft machen können.
Natürlich, wenn man den Blick auf die wirtschaftlichen Interessen von Trump und von Putin – das sind ja jetzt keine Klimaengel – richtet, dann stehen dort handfeste fossile Interessen dahinter.
Ralf M. Ruthardt |Lassen Sie uns in Anbetracht der Ergebnisse der Bundestagswahl 2025 darüber sprechen, ob zwischen den in der AfD agierenden Köpfen und den 10.000.000 Menschen, die die AfD gewählt haben, zu differenzieren ist. Schließlich ist ja die Rede davon, dass etablierte Parteien die AfD-Wählenden wieder zurück in die sogenannte und wie auch immer zu definierende Mitte holen wollen.
Kathrin Henneberger | Also, wer AfD gewählt hat, hat klar eine faschistische Partei gewählt. Das muss den Menschen dann auch sehr bewusst sein. Hier brauchen wir einen sehr klaren – und da sehe ich uns alle in der Verantwortung – politischen Diskurs mit unseren Mitmenschen, dass dies in der Zukunft auf keinen Fall mehr passiert.
Ralf M. Ruthardt |Sie meinen, dass Menschen die AfD wählen, darf nicht mehr geschehen?
Kathrin Henneberger | Wir müssen es sehr ernst nehmen, dass Menschen in Deutschland verunsichert sind. Bei meinen Gesprächen in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl wurde deutlich, dass sehr viele Menschen – auch sehr viele junge Menschen – verunsichert sind. Viele fragen, ob der Krieg in der Ukraine auch zu uns kommt. Oder auch sehr viele Menschen sind wegen der Klimakrise verunsichert. Da sind die eigenen sozialen Abstiegsängste; ob man die Miete noch bezahlen kann. Die Menschen merken, dass die Lebensmittelpreise weiter steigen.
Darauf müssen wir eine Antwort finden. Gleichzeitig müssen wir damit umgehen, dass über Social Media, und das ist leider so, versucht wird, unsere Gesellschaft aufzuhetzen und zu spalten. Ich kann es nicht vergeben, wenn jemand faschistisch wählt. Wenn jemand faschistisch wählt, wählt er faschistisch.
Ralf M. Ruthardt | Nochmals mein Versuch: Über 10.000.000 Menschen haben der AfD die Zweitstimme gegeben. Sind das alles Faschisten?
Viele Menschen treffen Wahlentscheidungen aus dem Bauch heraus. Die haben oftmals womöglich nicht die Möglichkeit, sich vorab ausführlich zu informieren und die Programme der Parteien zu validieren. Da gibt’s Menschen, die mit ihren Alltagssorgen und mit Beruf und Kindererziehung den ganzen Tag beschäftigt sind. Ich gehe davon aus, dass ein relevanter Anteil an Wahlberechtigten womöglich gar nicht die Zeit hat, sich adäquat zu informieren und mit Themen auseinanderzusetzen. – Mich persönlich macht dies in der Analyse und im potenziellen Beurteilen ein bisschen milde.
Kathrin Henneberger | Mensch kann sich immer überlegen, wähle ich faschistisch oder nicht. Wähle ich aus Protest? Ist das wirklich der Weg, den ich gehen will? – Daher ist es nicht zu entschuldigen.
Ich finde es wichtig, kritisch zu analysieren, warum Menschen die AfD wählen. Was können wir verbessern, damit Menschen das nicht mehr wählen? – Aber die individuelle Entscheidung, für eine faschistische Partei zu stimmen und damit gegen den Schutz von Minderheiten und gegen Menschenrechte zu stimmen, das ist eine Entscheidung, die ich nicht entschuldigen mag.
Ralf M. Ruthardt | Dieser Punkt ist sehr interessant und bedeutend. Er betrifft eine Situation, mit der wir in Deutschland als Gesellschaft konfrontiert sind. Deshalb meine Nachfrage: Die Tatsache, dass ein Mensch eine Partei wählt, die auf dem Wahlzettel steht, ist etwas, was erbarmungslos zu kritisieren ist. Habe ich das so richtig verstanden?
Kathrin Henneberger | Also, wenn man der AfD seine Stimme gibt, geht es nicht nur darum, dass man eine klimaleugnerische Partei wählt. Vielmehr geht es sehr klar darum, eine Partei zu wählen, die gegen Minderheiten hetzt, die gegen Menschen mit Migrationshintergrund hetzt und die Deportationsfantasien für Menschen mit Migrationshintergrund hat. Und es geht noch weiter: Man wählt eine Partei, die queere Rechte abschaffen will, die Frauenrechte abschaffen will … Deswegen sage ich, die AfD zu wählen, kann ich nicht entschuldigen, weil das eine Stimme gegen Minderheiten, gegen Demokratie und gegen Freiheit ist.
Ralf M. Ruthardt |Ein unentschuldbares Verhalten bedeutet, dass es durch nichts zu rechtfertigen ist und – moralisch gesehen – die Handlung als so gravierend angesehen wird, dass keine äußeren Umstände oder inneren Konflikte die Schwere der Tat lindern können. Wir kennen das beispielsweise von Mord aus Hass oder bei einer absichtlichen Täuschung eines anderen. Wenn wir den Begriff im rechtlichen Sinne beleuchten, dann meint „unentschuldbar handeln“, dass eine Person keine annehmbaren Verteidigungsgründe hat, um ihre Handlung zu rechtfertigen oder abzuschwächen.
Kathrin Henneberger | Als Gesellschaft sind wir in der Verantwortung, genau zu analysieren, wie es dazu gekommen ist, dass ein Mensch die AfD wählt. Wie können wir als Gesellschaft sozialer, gerechter und solidarischer werden, damit wir gemeinsam die Krisen unserer Zeit gut bewältigen können, ohne dass Menschen in berechtigte Zukunftsängste verfallen? Und wie können wir gemeinsam diesen rechten Hetzkampagnen entgegenstehen?
Ralf M. Ruthardt | Ein weiterer, ergebnisoffener Versuch, es etwas milde zu formulieren und Brücken zu bauen: Wer die AfD wählt, ist eine verirrte Seele, die es wieder zurückzuholen gilt – oder gefällt Ihnen da dieser Sprachduktus nicht?
Kathrin Henneberger | Das ist nicht die Sprache, die ich für geeignet halte. Die AfD zu wählen, ist unentschuldbar. Punkt.
Ralf M. Ruthardt |Ich finde es erhellend, liebe Kathrin Henneberger, und es bringt mich zu zwei weiteren Fragen: Gibt es in der AfD Menschen, deren Argumenten Sie etwas abgewinnen können?
Kathrin Henneberger | Nein!
Ralf M. Ruthardt |Gibt es in der CDU Menschen, deren politischen Argumenten Sie etwas abgewinnen können?
Kathrin Henneberger | In der sehr konkreten inhaltlichen Arbeit der vergangenen Legislatur gab es einige Kollegen, mit denen ich mich inhaltlich über den richtigen Weg streiten konnte. Beispielsweise im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es ist Teil unserer Demokratie, dass gestritten wird und man dann eine Einigkeit in der Sache findet.
Ein konkretes Beispiel ist die Finanzierung der humanitären Hilfe für den Libanon. Da konnte ich mit einem Kollegen von der CDU sofort Einigkeit herstellen. Wir hatten ein gemeinsames Ziel, nämlich die humanitäre Hilfe im Libanon. Man sieht, dass es bei allem Streit immer wieder Momente gibt, in denen wir uns zusammengefunden haben.
Ralf M. Ruthardt |Aber zu meiner Frage zurück. Ich habe richtig verstanden, dass es in der CDU Leute gibt, die politische Verantwortung haben und mit denen gut zusammenzuarbeiten ist.
Kathrin Henneberger | Ja, wobei die bei der letzten Wahl aus dem Bundestag gefallen sind. Es werden auch in der CDU weniger. Man merkt den Rechtsruck unter Friedrich Merz.
Ralf M. Ruthardt |Sind DIE GRÜNEN unfehlbar?
Kathrin Henneberger | Niemand ist unfehlbar.
Ralf M. Ruthardt | Haben Sie unseren Leserinnen und Lesern noch eine Erkenntnis aus dem Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025?
Kathrin Henneberger | „Wir finden es gut, dass du dich für Klimaschutz einsetzt“, wurde sehr oft zu mir gesagt.
Ralf M. Ruthardt | Dann nehmen wir das als Schlussgedanken und entlassen unsere Leserinnen und Leser in ein ergebnisoffenes Nachdenken. Denn genau das ist die Idee, wenn in MITMENSCHENREDEN Menschen miteinander reden. – Danke für Ihre Zeit, Kathrin Henneberger, und alles Gute.
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