Die Friedrich August von Hayek-Gesellschaft e. V. wurde 1998 gegründet und steht für einen Freiheitsbegriff in der Tradition des klassischen Liberalismus. „In meiner Zeit als mittelständischer Unternehmer waren Hayek und die Österreichische Schule eher nicht auf meinem Radar. Nun, nachdem wir in den vergangenen Jahren zunehmend Freiheiten wahrnehmbar einbüßen und große gesellschaftspolitische, geostrategische und wirtschaftliche Herausforderungen zu besprechen sind, habe ich mich damit beschäftigt“, sagt Ralf M. Ruthardt als Herausgeber des Magazins MITMENSCHENREDEN.
Und Ruthardt ergänzt: „Ja, dabei sind mir auch die durchaus bewegten vergangenen Jahre der Hayek-Gesellschaft aufgefallen. Was mich jedoch vielmehr interessiert, sind die Inhalte. Dazu habe ich am 17. April 2025 mit Prof. Dr. Stefan Kooths gesprochen. Er ist Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft in Berlin. Öffentlich bekannt ist er vor allem als Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.“
Ralf M. Ruthardt | Wofür steht, lieber Herr Prof. Dr. Stefan Kooths, die Hayek-Gesellschaft, wenn wir auf den Liberalismus und auf die aktuellen wirtschaftlichen Kontexte in Deutschland schauen?
Stefan Kooths | Die Hayek-Gesellschaft ist so etwas wie der Maschinenraum für klassisch liberales Denken im deutschsprachigen Raum. Wir sind eine wissenschaftliche Gesellschaft, die vor allen Dingen die unterschiedlichen Strömungen, die es auch im liberalen Denken gibt, zusammenführt. Von daher haben wir erst mal eine Netzwerkfunktion und bringen liberale Denker zusammen. Zudem richten wir uns an die Unternehmerschaft und an die Publizistik.
Es geht uns also auch darum, die liberalen Ideen nach außen zu tragen – allerdings nicht als Kampagneninstitut. Kampagnen macht die Hayek-Gesellschaft nicht, sondern die einzelnen Mitglieder sollen in deren Umfeld als Botschafter für die Ideen der Freiheit auftreten. Die Argumente dafür können sie innerhalb der Hayek-Gesellschaft schärfen und so die Idee der Freiheit weiterentwickeln.
Ralf M. Ruthardt | Heutzutage kann man den Eindruck gewinnen, dass nahezu jede politische oder gesellschaftspolitische Organisation Wert auf ein starkes Kampagnenmanagement legt. Und insofern meine Nachfrage, weshalb dies bei der Hayek-Gesellschaft nicht so ist?
Stefan Kooths | Zum einen gibt es ausreichend liberale Thinktanks, die das bereits tun. Dort sind sehr oft auch Mitglieder der Hayek-Gesellschaft unterwegs. Dass wir selber keine Kampagnen machen, heißt nicht, dass wir Kampagnen nicht für richtig halten. Wir sehen hier vielmehr eine gewisse Arbeitsteilung.
Wir wollen im eigenen Haus das Meinungsspektrum möglichst groß halten. In dem Moment, wo man beginnt, bestimmte Kampagnen zu machen, legt man sich dann eben doch stärker fest. Dann kann man nicht mehr alle Beteiligten mitnehmen. Also, grundsätzlich sind Kampagnen wichtig, aber wir arbeiten vor allem auf der wissenschaftlichen Ebene. Dazu gibt es selbstverständlich den Austausch von Ideen und entsprechende Publikationen.
Besonders hervorheben möchte ich vor diesem Hintergrund die umfassende Bildungsarbeit, die wir als Hayek-Gesellschaft leisten. Diese richtet sich im Wesentlichen an die junge Generation. Das sind unsere Juniorenkreise für Wissenschaft, für Publizistik und für Politik. In unserer Akademie der Freiheit erfahren ganz junge Menschen, die zwischen Schulabschluss und der weiteren Ausbildung stehen, viel über die Ideen des klassischen Liberalismus.
So lässt sich die Grundidee der Hayek-Gesellschaft in kurzen Worten beschreiben.
Zurück zum Begriff „Kampagne“: Das hochskalierte Multiplizieren ist nicht die Aufgabe der Hayek-Gesellschaft; das sehen wir bei den jeweiligen individuellen Akteuren.
Ralf M. Ruthardt | Wenn Sie Kampagne so breit fassen wollen, dann ist das, was wir tun, eine Dauerkampagne für die Ideen der Freiheit auf der Grundlage des klassischen Liberalismus. Ich habe jetzt mit Kampagnen eher verbunden, dass man sich ein Thema herausgreift und dann für eine bestimmte Position – meistens im tagesaktuellen Geschäft – Partei ergreift. Letzteres machen wir eben nicht.
Uns kommt es auch gar nicht darauf an, dass wir am Ende in der Hayek-Gesellschaft zu einer einheitlichen Auffassung kommen. Die Idee des Meinungsstreits ist ja gerade das Wesentliche. Anders als etwa vor Gericht sollen nicht Gewinner und Verlierer dastehen. Es geht uns um das Bündeln von verteiltem Wissen. Der Austausch macht am Ende alle zu Gewinnern: Alle haben mehr Erkenntnis, als bevor sie in die Debatte reingegangen sind.
Stefan Kooths | Wenn Sie Kampagne so breit fassen wollen, dann ist das, was wir tun, eine Dauerkampagne für die Ideen der Freiheit auf der Grundlage des klassischen Liberalismus. Ich habe jetzt mit Kampagnen eher verbunden, dass man sich ein Thema herausgreift und dann für eine bestimmte Position – meistens im tagesaktuellen Geschäft – Partei ergreift. Letzteres machen wir eben nicht.
Uns kommt es auch gar nicht darauf an, dass wir am Ende in der Hayek-Gesellschaft zu einer einheitlichen Auffassung kommen. Die Idee des Meinungsstreits ist ja gerade das Wesentliche. Anders als etwa vor Gericht sollen nicht Gewinner und Verlierer dastehen. Es geht uns um das Bündeln von verteiltem Wissen. Der Austausch macht am Ende alle zu Gewinnern: Alle haben mehr Erkenntnis, als bevor sie in die Debatte reingegangen sind.
Ralf M. Ruthardt | Dann besteht die quasi Dauerkampagne der Hayek-Gesellschaft darin, die Österreichische Schule und das liberale Denken gut argumentiert in den öffentlichen Diskurs zu bringen.
Stefan Kooths | Ja, genau. Dazu gehört, dass wir unseren Wissensschatz nicht einfach nur immer wieder durchkauen; also keine rückwärtsgewandte Textexegese. Die Grundidee des klassischen Liberalismus ist es, sich immer wieder an eine sich wandelnde Welt anzupassen. Es gilt zu hinterfragen, was möglicherweise an bisherigen Erkenntnissen und Methoden zu revidieren ist. Darin sehe ich eine Kernaufgabe.
Das würde dann auch so Richtung dieses weiten Kampagnenbegriffs gehen: Wo erkennen wir im Heute Fehlentwicklungen, die unter einem neuen Gewand daherkommen? Neue Fehlentwicklungen, die am Ende wieder dieselben Muster aufweisen wie die vielen, zum Teil ja dann auch desaströsen Fehlentwicklungen, die wir in der Menschheitsgeschichte durchlitten haben. Desaster und Tragödien, weil Einzelne geglaubt haben, sie könnten sich zu so einem Sozialingenieur aufschwingen, der in konstruktivistischer Manier ganze Gesellschaften – also hochkomplexe Gebilde – in ein sehr primitives Staatsverständnis zwingen. Darum gilt es, ein Seismograph dafür zu sein, wo die individuelle Freiheit bedroht wird. Es gilt, vor den Folgen immer wieder neu zu warnen. Schließlich kommt ja keine Sozialphilosophie mit dem Anspruch daher, den Einzelnen zu unterdrücken, die Welt schlechter zu machen, für Kriege zu sorgen und so weiter. Im Gegenteil: Auf der Meta-Ebene sind sich praktisch alle Sozialphilosophien einig. Ihre Ziele sind Frieden, Freiheit und Wohlstand. Auf dieser Meta-Ebene können sich, so glaube ich, alle miteinander verständigen. Aber nicht alle Sozialphilosophien führen zu diesem Ziel, sondern einige führen nachgerade ins Gegenteil: in die bittere Unterdrückung und die ökonomische Verarmung. Nur sehen das die Menschen nicht direkt am Anfang, sondern erst im Laufe der Zeit.
Ralf M. Ruthardt | Wir Menschen sind für Verheißungen und Heilsbotschaften offensichtlich sehr anfällig. Aber das ist ein weites Feld, um mit Fontane zu sprechen.
Stefan Kooths | Das hat mit unserer Menschheitsentwicklung zu tun. Wir hatten über lange Jahrtausende eine Sozialisation in Kleingruppen. Diese Sozialisierung hat uns natürlicher Weise immer wieder glauben gemacht, wir könnten auch anonyme Großgesellschaften nach denselben Maximen konstruieren, wie wir sie aus der kleinen Gruppe kennen. In unserer modernen, vernetzten und arbeitsteiligen Welt brauchen wir aber einen ganz anderen sozialen Kit. Dieser kommt oftmals nicht so sympathisch daher …
Ralf M. Ruthardt | … also nicht beispielsweise in der Person eines Sympathieträgers, wie es beispielsweise aktuell Robert Habeck für viele Menschen ist.
Stefan Kooths | In einer komplexen Welt ist ein sozialer Kitt notwendig, der auf abstrakten Institutionen beruht – Sitten, Gebräuche, Normen – und gerade nicht auf charismatische Anführer angewiesen ist. Es gilt, die individuelle Freiheit und damit verbunden den Wohlstand zu schützen. Diese Botschaft muss immer wieder neu erklärt werden. Das scheint mir eine Daueraufgabe zu sein. Vielleicht liegt hier auch das größte Versäumnis der Liberalen in jüngerer Zeit. Man hat sich nach dem Fall der Mauer, also nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, weitgehend zurückgelehnt und gemeint, nun hätte die Geschichte endgültig entschieden. Die westlichen Ideen der Freiheit und der Marktwirtschaft haben gewonnen, so war weitgehend die Überzeugung. Daraufhin ist man ziemlich unvorsichtig geworden und hat das weitere Geschehen einfach laufen lassen. In der Zwischenzeit haben wir leider gesehen, dass sich die unterschiedlichen Formen des Autoritarismus einmal geschüttelt haben und Boden zurückerobert haben. Deshalb sind Liberale jetzt leider wieder in der Defensive. Vor knapp 40 Jahren hat man sich das kaum vorstellen können.
Ralf M. Ruthardt | Geschichte wiederholt sich – kommt mir gerade in den Sinn. Braucht es mehr Achtsamkeit und die Bereitschaft zur Selbstreflexion, damit man als Einzelner und als Gemeinwesen nicht anfängt, auf einem Status verharren zu wollen? Zu verharren, weil es sich in diesem Moment so gut und so angenehm anfühlt. Liegt einer solchen fehlenden Achtsamkeit und fehlenden Selbstreflexion quasi der Beginn des nächsten Fehlers und damit verbunden der Start für den Entzug von Freiheit und Wohlstand inne?
Stefan Kooths | Ja, das kann man so sagen. – Das Problem der Marktwirtschaft und einer politischen Freiheitsordnung lässt sich in ein Bild fassen: Menschen finden es völlig normal, dass sie in den Supermarkt gehen und dort genau die Produkte in den Regalen finden, die sie gerade kaufen wollen. Das scheint den Leuten selbstverständlich zu sein, und deshalb kommt vielen von ihnen das Verständnis dafür abhanden, was die Grundlagen für diese vermeintlich selbstverständlichen Annehmlichkeiten sind. Und so ist das auch mit der Sensibilität und dem Bewusstsein, was die Grundlagen für ein politisch freies System sind. Letztendlich sind es immer wieder die gut gemeinten, aber eben doch kollektivistischen Irrtümer, die dann die individuelle Freiheit bedrohen.
Ralf M. Ruthardt | Man könnte jetzt die Begriffe Religion, Ideologie und Philosophie strapazieren und hierzu Vergleiche suchen. Sagen wir so: Dort, wo Einzelne das Gefühl haben oder die Erkenntnis für sich in Anspruch nehmen, sie müssten über ein Gemeinwesen bestimmen, ging es am Ende in der Regel schief. Daraus lässt sich ableiten, dass der Liberalismus und seine freiheitliche Ordnung die Stärke haben, dass die Einzelnen aus ihrer individuellen Freiheit heraus eine bedeutende Wirksamkeit für das Gesamte haben.
Um einen „hinkenden“ Vergleich zu suchen: Sozialismus ist ähnlich, wie wenn ich als Unternehmer der Meinung wäre, ich mache jede operative Ansage, weil nur ich weiß, was gut und richtig ist.
Stefan Kooths | Ja, genau.
Ralf M. Ruthardt | Das Gegenteil ist meine Erfahrung: Nur dann, wenn ich als Unternehmer die Fülle der Fähigkeiten der Mitarbeitenden und deren klugen Gedanken gelten lasse und Verantwortliche mit der Kompetenz zur Gestaltung ausstatte, kommt es zu einer positiven und produktiven Wirksamkeit. Das bedeutet, dem Einzelnen eine Verantwortung aufzuerlegen, ihm aber auch die Kompetenz – sprich, die gestalterische Freiheit – beim Handeln zu geben.
Stefan Kooths | Absolut. Das gefällt mir sehr, sehr gut. – Hinzu kommt, dass man als Liberaler sich eben nicht anmaßt, die Zukunft perfekt vorher bestimmen zu können. Es ist zu akzeptieren, dass eine offene Gesellschaft eben auch ergebnisoffen ist. Da ist man natürlich in der Kommunikation hin zu den Menschen vor einer Herausforderung. Diejenigen, die einen Masterplan für eine heile Welt meinen vorweisen zu können, haben es einfacher. Wir haben hier eine kommunikative Herausforderung – was jedoch kein Grund zum Pessimismus ist.
Der Interventionismus entlarvt sich ja permanent, indem er eben dann genau die Missstände provoziert, die Liberale nicht überraschen können. Insofern liefern uns die aktuellen Entwicklungen in Deutschland eine Fülle von Fallstudien für solche kollektivistischen Irrtümer. Meines Erachtens liegt eine Aufgabe für Liberale darin, genau diese Beispiele aufzugreifen. Es ist konkretes Anschauungsmaterial, welches die abstrakten Prinzipien in der breiten Kommunikation verständlich macht. Das führt viele Menschen sehr überzeugend an liberale Argumente heran. Daher sollten wir Liberalen uns die Mühe machen und an der Lebenswirklichkeit aufzeigen, warum die gut gemeinten kollektivistischen Absichten sehr oft zu desaströsen Ergebnissen führen.
Ralf M. Ruthardt | Man betrachte mich, lieber Herr Kooths, als einfachen Bürger und als kleinen Unternehmer. Als solcher nehme ich seit Jahren wahr, dass von Liberalen oftmals kluge Sätze formuliert werden, diese aber zu oft nicht im weiten Feld der journalistischen und medialen Landschaft ankommen. Erkenntnisse und Argumente bleiben in engen Zirkeln und werden dort unter ihresgleichen diskutiert.
Ist das einer parlamentarischen Demokratie angemessen? Schließlich haben alle Bürgerinnen und Bürger als Souverän die Aufgabe und Chance, sich bei Wahlen zu positionieren. Gilt es nicht, die kommunikative Herausforderung seitens der Liberalen anzunehmen und eben auch in einer Alltagssprache mit den Menschen zu reden?
Dass man mit den liberalen Argumenten und Fallbeispielen bisher (noch) nicht durchdringt, erscheint mir als etwas tendenziell Fatales. Da dominieren von politisch linker Seite die Narrative den gesellschaftlichen bzw. politischen Diskurs. Es erscheint mir sehr einseitig und damit auch als ein manipulierendes Momentum. Die Auseinandersetzung des Einzelnen mit der Lebenswirklichkeit unserer Ökonomie ist weitgehend durch die mediale Berichterstattung oftmals auf geradezu banale und erkenntnisfreie Nachrichten verkürzt.
Wenn ich auf den sogenannten Speckgürtel von Stuttgart blicke, dann begreifen die Leute, dass Mercedes-Benz Produktion nach Ungarn verlagern wird. Da fragt dann schon mal einer, wie das politische Bashing in Deutschland und der EU sowie weite Teile der medialen Berichterstattung über Ungarn zu den strategischen Standortentscheidungen von Mercedes-Benz passen.
Und hier noch ein Gedankensprung: Da freuen sich Leute über eine reichliche Abfindung, und es scheint ihnen zugleich ziemlich egal zu sein, dass die nächste Generation, die beim Abendbrot am Tisch sitzt, den verlorengegangenen Arbeitsplatz nicht als Opportunität hat. Da lässt man sich dann von Winfried Hermann (DIE GRÜNEN), dem baden-württembergischen Verkehrsminister, trösten. Dieser sagt zu den von Mercedes-Benz verlagerten Jobs aus Baden-Württemberg nach Ungarn: „Das schmerzt mich nicht“; und meinte im Landtag darauf angesprochen, dass es zukünftig quasi alternative Jobs beispielsweise im Kontext der Energiewende geben werde. Meine Meinung ist, dass wir – am Beispiel der Region um Stuttgart – auf eine infantil unverschämte Weise mit unserem Wohlstand umgehen. – Bin ich in meiner Bewertung ungerecht bzw. was gilt gegen diese den Wohlstand vernichtenden Tendenzen zu tun?
Stefan Kooths | Ja, es gibt einen gewissen Nachlauf, das ist so. Die Marktwirtschaft ist die Wohlstandsmaschine und produziert zum Teil ihre eigenen Probleme dadurch, dass der Wohlstand eben so groß ist. Da können dann andere Gesellschaftsmodelle erst mal eine Weile davon zehren, bis die tatsächlichen Folgen allseits klar werden. Zuerst die Euphorie des Interventionismus. Nach einem gewissen Nachlauf kommt die Erkenntnis, dass es nicht funktionieren wird. – Da ist es sehr schwer, dagegen anzukommen. Es gilt, einen kühlen Kopf zu bewahren, die Prinzipien zu erklären und dann auch am Ball zu bleiben. Vor allem gibt es keinen Grund, sich von Interventionisten einschüchtern zu lassen.
Aktuell sehen wir ja bereits beispielsweise so einige Subventionsruinen, die wir mittlerweile nennen könnten. Meiner Erfahrung nach beeindruckt das die Menschen sehr wohl, wenn man an die Verheißungen und den Optimismus erinnert und dann aufzeigt, wie das Ganze ausgegangen ist. Dabei gilt es zu erklären, warum das Scheitern kein Zufall ist.
Ich möchte noch auf die sozialen Netzwerke hinweisen. Dort muss man nicht durch die wenigen Redaktionsschleusen hindurch, um überhaupt ein größeres Publikum zu erreichen. Es gibt eine Vielfalt von Podcasts, von Websites und von Videoformaten, die sich mittlerweile etabliert haben. Gerade weil eben diese Informationen, die Sie angesprochen haben, in weiten Teilen der Massenmedien kaum noch bedient werden, suchen sich viele Menschen neue Wege. Es ist geradezu ein Fallbeispiel dafür, dass sich auch die Freiheit und freiheitliche Ideen immer wieder den Weg bahnen, um Menschen zu erreichen, und sie treffen dann ja auch auf ein entsprechendes Interesse beim Publikum. Von daher kann man mit diesen Marktlücken entsprechend umgehen.
Ralf M. Ruthardt | Ein Großteil der Wählerschaft ist im Alltag auf Unterhaltung bei TikTok, Instagram und so weiter fokussiert. Ich habe – nicht repräsentativ – mich beispielsweise auf Buchmessen mit Menschen über deren mediales Konsumverhalten und deren Interesse an Politik und Wirtschaft unterhalten. Das passte ziemlich gut zu Erkenntnissen der German Longitudinal Election Study (GLES) bezüglich politischen Wissens und des Verhaltens der Wählerschaft. Das politische Interesse und der Informationsstand korrelieren eng mit dem Bildungsniveau und der sozialen Lage der Wähler. Wo möglich, ist der Liberalismus doch ein Stück weit etwas, was sich sehr stark ans Bildungsbürgertum wendet.
Stefan Kooths | Ja, das war aber vermutlich immer schon so. Gerade dort, im Bildungsbürgertum, werden die Multiplikatoren ausgebildet, die hoffentlich in die breitere Bevölkerung hineinwirken können. Deshalb ist ja die Publizistik so wichtig. Es braucht diese Multiplikatoren, die in allgemeinverständlicher Sprache die Botschaften des Liberalismus an den Mann bringen können. Klar, das ist nicht einfach. Das ist aber früher auch nicht einfach gewesen.
Es ist kein Grund zu sagen, es sei alles so schwierig. Die Möglichkeiten, Menschen zu erreichen, sind heutzutage viel größer. Wir brauchen in unserem Wirtschaftssystem ja auch nicht 100 % Unternehmer. Es reicht, dass es eine kritische Anzahl an unternehmerischen Akteuren gibt, die immer wieder erkennen, wo die aktuelle Koordination noch Lücken hat, und diese dann immer wieder schließen. Das muss ein Großteil der Konsumenten gar nicht mitbekommen, und trotzdem stabilisiert sich dieses System dann immer wieder.
Man kann die Menschen mit gesundem Menschenverstand abholen. Viele Botschaften des Liberalismus sind nicht so geartet, dass man sie den Menschen nicht erklären kann. Insbesondere deshalb, weil man immer wieder das Argument auf seiner Seite hat, dass der Liberalismus die Menschen so nimmt, wie sie sind. Menschen mit ihren Eigeninteressen und mit ihren Fehlern. Für Liberale muss sich die Sozialphilosophie dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt.
Wir brauchen keinen neuen Menschen, um eine liberale Gesellschaftsordnung zum Erfolg zu führen. Die Leute verstehen, dass das eine sehr realistische Herangehensweise an soziale Phänomene ist. Die kollektivistischen Verheißungen postulieren dagegen, dass es einen neuen Menschen zu formen gilt. Dieser soll sich dem Kollektiv unterordnen und fortwährend an das Gemeinwohl denken. Die Menschen merken instinktiv, dass das unrealistisch ist. Das sollte einen nicht zu pessimistisch stimmen, mit liberalen Botschaften nicht durchdringen zu können.
Ralf M. Ruthardt | Ich habe eine Formel für mich gefunden, die ich mal in den Diskursraum werfe: Kapitalistische Systeme sind in der Lage, nennenswert Wohlstand aufzubauen. Dabei gibt es Begleiterscheinungen wie Chancen, Risiken und die Tendenz zu einer sozialen Ungerechtigkeit. Quasi ein gesellschaftliches Ungleichgewicht, insbesondere an der Vermögensverteilung festzumachen. Irgendwann, wenn die Kühlschränke (als Ausdruck für Wohlstand) gefüllt sind, kommen die Ideen kollektivistischer Systeme. Deren Versprechen ist soziale Gerechtigkeit – wobei man sich dann tendenziell in die Gleichmacherei versteigt. Zumeist werden solche kollektivistischen Ideen von Akteuren propagiert, die keinerlei Beitrag zum Wohlstand geleistet haben. Diese partizipieren an der vorhandenen Wertschöpfung, versuchen ein Idealbild zu formen, gleich einer Religion, und nach einer Phase der Hoffnung kommt das große Scheitern. Oftmals einschließlich eines gesellschaftlichen Desasters. Anschließend kommt die Renaissance liberaler, freiheitlicher Gedanken – und ein Zyklus beginnt von vorne.
Stefan Kooths | Absolut. Da gehe ich komplett mit. Das Pendel schwingt hin und her. So entstehen diese Zyklen, weil eben die Wohlstandsmaschine der Marktwirtschaft über dezentrale Koordination funktioniert. Dann kommt es zu dem Punkt hohen Wohlstands, und jetzt verteilt man diesen einfach um und setzt dabei implizit voraus, dass dadurch der Wohlstand gar nicht geschmälert würde. Es braucht dann eine Weile, bis die Leute merken, dass die Interventionisten an ihren Verheißungen scheitern und der Kühlschrank zusehends leerer wird. Damit geht den Interventionisten die Verteilungsmasse aus.
Jetzt ganz konkret heruntergebrochen auf die Energiewende: Es lassen sich mit der Politik der vergangenen Jahre eben keine doppelten und dreifachen Dividenden versprechen: Dass die Energie billiger wird. Dass die Wirtschaft stärker wächst. Und wenn sich die Protagonisten ehrlich machen, wissen sie auch, dass ohne internationale Koordination auch der Emissionseffekt nicht eintritt.
Ralf M. Ruthardt | Im liberalen Lager gibt es einige Leute, die Katastrophenszenarien kommunizieren. Frei nach dem Motto, dass sowieso nichts mehr zu retten sei und alles den Bach runtergehe. Man spricht dann von den großen Krisen. Wie stehen Sie dazu?
Stefan Kooths | Damit kann man Menschen natürlich nicht von liberalen Ideen begeistern. Ich finde genau das, wie Sie es formuliert haben, plausibel: Es sind diese Zyklen, diese Pendelentwicklungen. Das impliziert ja, dass ein Umdenken und eine Veränderung des Handelns möglich sind. Das ist ja gerade die Grundvoraussetzung liberaler Ideen: Wir Menschen sind grundsätzlich vernunftbegabt. Wenn wir das nicht wären, dann könnten weder ein demokratisches Gemeinwesen noch ein marktwirtschaftliches System rechtfertigen.
Ralf M. Ruthardt | Zwei Gedanken: Der eine Gedanke bezieht sich auf die Grundidee meines Magazins MITMENSCHENREDEN. Es ist der Perspektivenwechsel. Darin liegt die Chance, zu einem Zeitpunkt Lösungen zu erarbeiten und zu realisieren, bevor etwas in den Brunnen gefallen ist; also bevor etwas eskaliert.
Der zweite Gedanke: Sie haben davon gesprochen, dass man den Leuten Vernunft unterstellt. Also die Fähigkeit, kraft Erkenntnis nicht einen bequemen oder gedankenlosen Weg zu gehen. Nun, sind wir seit einigen Jahren in der Situation, dass vernünftige Leute sich nicht durchsetzen können, weil Vernunft immer auch etwas Konstruktives und damit etwas Anstrengendes bedingt? Im Gegensatz dazu verbreiten sich Heilsversprechen von womöglich auch bildungs- und erfahrungsfernen Akteuren leichter – mindestens so lange, bis die Realität offen erkennbar diese Lügen straft?
Stefan Kooths | Sie beschreiben hier ein strukturelles Problem. Zwei Dinge dazu: Dass Menschen bereits ins Umdenken kommen, bevor die Probleme offen erkennbar sind, ist eher eine optimistische Annahme. Eine gewisse Form von Problemeskalation wird man wohl hinnehmen müssen.
Aber es hilft überhaupt nicht, auf Politiker einzureden, um ihnen ökonomische Theorien zu erklären. Ein Teil von diesen versteht diese übrigens viel besser, als man das aus deren öffentlichen Statements erkennen kann. Diese sind aber in einem ganz anderen Anreizkorsett unterwegs.
Als unabhängiger Wissenschaftler kann ich sagen, was ich für richtig halte. Ob das populär ist oder nicht, muss mich nicht kümmern. Ich kann diese Situation somit nicht mit der eines Politikers vergleichen, der alle vier Jahre wiedergewählt werden möchte. Von Helmut Kohl stammt der berühmte Satz, er möchte die nächsten Wahlen gewinnen und nicht den Ludwig-Erhard-Preis. Man muss sich schon überlegen, ob es bestimmte strukturelle Bedingungen gibt, die das besonders stark prägen. Darüber sollten gerade auch wir Liberalen immer wieder nachdenken.
Ralf M. Ruthardt | Gibt es konkrete Vorschläge dazu?
Stefan Kooths | Man kann beispielsweise über fünfjährige Legislaturperioden nachdenken, für die man die Leute dann auch gut bezahlt. Vielleicht sollte man analog zu dem bezahlen, was sie vorher im außerpolitischen Bereich verdient haben. Das wäre noch ein bisschen raffinierter und würde die weniger fähigen Leute potentiell fernhalten.
Wichtig erscheint mir, dass von vornherein ein Mandat oder Regierungsamt temporär ist. Sagen wir, zwei Legislaturperioden, in denen man politisch in einem Parlament sitzt und dafür angemessen und gut bezahlt wird. Jedenfalls sollte es nicht zu einer politischen Dauerkarriere führen. Es gibt heutzutage zu viele Leute, die sich vom Hörsaal in den Plenarsaal retten und dann in die Rente wechseln.
Ralf M. Ruthardt | Haben wir nicht auch das Problem, dass im Grunde genommen ich als gemeiner Bürger mich gefälligst parteipolitisch zu engagieren habe? Nur so lässt sich doch verhindern, dass in den Parteien aus einem Kreis von wenigen Leuten irgendwelche, die jetzt diese politische Karriere womöglich für sich identifiziert haben, in die Plenarsäle kommen. Schließlich sollten wir als Bürgerinnen und Bürger mit dafür sorgen, dass die fähigsten Leute in den Plenarsälen landen. Vielleicht sind „wir“ als allgemeine Bevölkerung zu sehr mit der Arbeit oder mit unserem nächsten Urlaub oder Smartphone beschäftigt, als dass wir uns um das kümmern, was uns inneren und äußeren Frieden erhält und uns Wohlstand ermöglicht.
Stefan Kooths | Nun, jede Bevölkerung bekommt in einem demokratischen Gemeinwesen die Parlamente und die Regierung, die sie verdient.
Ralf M. Ruthardt | Das haben Sie hart formuliert, aber es klingt richtig.
Stefan Kooths | Eine Demokratie kann niemals funktionieren, wenn die Stimmbürger sich darauf beschränken, alle vier Jahre zur Wahlurne zu schreiten. Das wäre das falsche Mindset, und als Liberale können wir dazu beitragen, dass es einen lebendigen, konstruktiven Diskurs gibt.
Ralf M. Ruthardt | Danke für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Stefan Kooths.
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Kontakt: Ralf M. Ruthardt | https://ruthardt.de | newsletter@ruthardt.de