Heute sprechen wir In dieser Rubrik von MITMENSCHENREDEN mit Jörn Didas. Er leitet als Geschäftsführer das Adolf-Bender-Zentrum e. V. in St. Wendel, das sich für Demokratie, Menschenrechte, Vielfalt und gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung engagiert.
Ralf M. Ruthardt | Lieber Jörn Didas, es freut mich sehr, dass wir Sie in MITMENSCHENREDEN als Gesprächspartner haben. Aus Ihrer Expertise, unter anderem als Geschäftsführer des Adolf-Bender-Zentrums, bringen Sie eine Fülle wichtiger Impulse zu Demokratie und Menschenrechten mit.
Lassen Sie uns darüber sprechen, wie unterschiedlich die kommunikativen Kontexte sind, wenn es um den gesellschaftspolitischen Diskurs geht: Leisten Journalismus und die Akteure in den sozialen Medien einen adäquaten Beitrag, wenn es um die versachlichten Diskussionen und um einen Beitrag zur faktenbasierten Meinungsbildung geht?
Jörn Didas | Die Herausforderungen im Journalismus sind groß. Da geht es betriebswirtschaftlich natürlich auch darum, die Verkaufszahl hoch zu halten und die Konkurrenz eben auch durch den Onlinebereich und die sozialen Medien ist immens.
Die Herausforderungen im Journalismus sind groß.
Da helfen dann, wie in den sozialen Medien üblich, die Schlagzeilen. Eine Schlagzeile verkürzt und will für Aufmerksamkeit sorgen. Oftmals wird von Menschen dann nur die Schlagzeile gelesen. Da kann dann das Interview, das Gespräch inhaltlich viele wichtige Dinge beinhalten – es kommt dann eben nicht an oder wird verkürzt.
Herausgegriffen wird oftmals das, woran der Konsument bei der Vielzahl von Beiträgen hängen bleibt und was online Klicks und Traffic erzeugt, inklusive der damit zusammenhängenden Entrüstungsspiralen. Journalismus hat die Aufgabe, gut zu recherchieren und die Vielfalt an unterschiedlichen Sichten darzustellen. Das wird zunehmend herausforderungsvoller, da wir in Teilen in einer Gesellschaft leben, wo ein Clip, eine Nachricht nur wenige Sekunden haben darf und die Aufmerksamkeitsspannen kurz sind.
Nach 15 Sekunden kommt der nächste Clip.
Schauen wir uns doch an, was auf TikTok und auf anderen Plattformen angeboten wird. Nach 15 Sekunden kommt der nächste Clip. Wir müssen die Menschen trotzdem irgendwie dahin bringen, dass sie mit mehr Interesse auf das blicken, was unsere Gesellschaft an Herausforderungen hat. Sich damit beschäftigen und man muss sich auch zumuten, auf die Standpunkte der anderen zu schauen. Das ist unabdingbar für den Erhalt einer Demokratie.
Ralf M. Ruthardt | Da sind wir ja schon, lieber Herr Didas, an einem Demokratiefördermoment: Nämlich an der Erkenntnis, dass es bei uns als Bürgerinnen und Bürger den Einsatz von Zeit, von Konzentration und die Bereitschaft, Widerspruch zuzulassen, bedarf. Der Themen gibt es viele: Energiewende und Klimaschutz. Migration und geostrategische Interessenkonflikte. Bildung und Innovation.
Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrer Tätigkeit im Adolf-Bender-Zentrum gesammelt, wenn es um die Förderung der Demokratie und damit verbunden um die Auseinandersetzung mit komplexen gesellschaftlichen Fragen geht?
Jörn Didas | Bevor ich zu Ihrer Frage komme, möchte ich noch auf etwas Grundsätzliches eingehen. Wir arbeiten vor allem in der politischen Bildungsarbeit. Neben den Beratungsstellen, die wir haben, ist die politische Bildungsarbeit unser Kerngeschäft. Die Idee von politischer Bildung ist – und das überrascht manche Menschen – nicht eine bestimmte Position, die ich gerade innehabe, nach außen zu bringen. Die Menschen sollen nicht in irgendeiner Art und Weise missioniert oder bekehrt werden. Das ist gerade nicht die Aufgabe von Bildung. Sondern die Aufgabe von politischer Bildung ist, die in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft kontrovers diskutierten Positionen, solange sie sich im Rahmen des demokratischen Wertekanons des Grundgesetzes bewegen, in der Bildungsarbeit sichtbar und erfahrbar zu machen.
Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, sich kritisch mit diesen unterschiedlichen Positionen auseinanderzusetzen.
Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, sich kritisch mit diesen unterschiedlichen Positionen auseinanderzusetzen, damit sie im zweiten Schritt für sich überlegen können, was eigentlich ihre eigene Position ist. Was ist mein Interesse? Was ist mein Ziel? Was ist mir, aber auch den anderen, wichtig? – Das sind die Fragen, mit denen wir die Menschen in der politischen Bildungsarbeit konfrontieren und zum Austausch bringen wollen.
Das macht eigentlich Bildung aus. Es geht somit nicht darum, mit einer Position in die Workshops reinzugehen, damit die Menschen, die daran teilnehmen und sich, wie z. B. in der Schule, das vielleicht noch nicht mal ausgesucht haben, diese einfach übernehmen sollen. Vielmehr wird versucht, eine Kontroversität zu erzeugen bzw. sichtbar zu machen, damit der Diskurs zustande kommt.
Jetzt zu Ihrer Frage nach meiner Erfahrung, wenn es um die Förderung der Demokratie geht. Ich erlebe Gesellschaft so, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass wir es entweder verlernt haben oder es als Gesellschaft nie in Gänze gelernt haben, was es bedeutet, Bürgerinnen und Bürger in einem demokratischen Staat zu sein.
Die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik waren gekennzeichnet von einem stärker werdenden wirtschaftlichen Aufstieg. Ich würde mal sagen, das hat durchaus so manches kaschiert und deshalb weiß ich nicht, ob wir den kritischen Diskurs und das sich Einbringen als Bürgerinnen und Bürger, als Gesellschaft, nie gelernt haben oder ob wir es wieder verlernt haben.
Ralf M. Ruthardt |Hat sich womöglich die Einstellung breitgemacht, dass Politik ihren Job machen soll und wir als Bürgerinnen und Bürger in Ruhe gelassen werden wollen? Womöglich eine Einstellung, die sich seit ein, zwei Jahrzehnten intensiviert hat.
Jörn Didas | Es gibt in der Demokratie kein Recht darauf, dass der Staat zu liefern hat. Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, festigt sich jedoch der Eindruck, dass da eine Erwartung da ist: Die in der Politik sollen jetzt endlich mal machen, was ich für richtig halte. Schließlich werden die ja dafür bezahlt. Der Staat sei zuständig und dies bedeutet, dass Menschen die Verantwortung, die sie eigentlich individuell tragen, externalisieren. Gesellschaft, Staat und Demokratie sind zuständig. Zugleich gibt es jedoch, so meine Einschätzung, ein sehr neoliberales Denken. Damit ist der Staat quasi der Dienstleister, der liefern soll.
Es gibt in der Demokratie kein Recht darauf, dass der Staat zu liefern hat.
Das Problem ist aber, dass Gesellschaft und Demokratie nicht liefern können, wie z. B. Amazon und schon gar nicht das, was ich individuell bestellt habe. Nun ist aber Demokratie eben nicht das Recht, nach seinen Wünschen etwas geliefert zu bekommen. Sondern die Demokratie gibt uns das Recht auf Teilhabe; nämlich mitmachen zu können und Verantwortung zu übernehmen. Das ist es, was wir lernen müssen. Die Demokratie kann nur funktionieren, wenn wir als Bürgerinnen und Bürger bereit sind, eine individuelle Verantwortung für unser Gemeinwesen, also auch für die Demokratie, zu übernehmen. Das kann im politischen sein, das kann im gesellschaftspolitischen sein und das kann im zivilgesellschaftlichen Zusammenhang sein.
Ralf M. Ruthardt |Wir halten fest, dass wir als Bürgerinnen und Bürger nicht Teilhabe praktizieren, indem wir eine Bestellung an die Politik aufgeben. Vielmehr bedeutet Teilhabe, sich einzubringen. Dann sind wir wieder an dem Punkt, dass der Einzelne Zeit einbringen und die Konzentration aufbringen muss, um seine eigenen Argumentationsketten und Erfahrungen einzubringen und sich mit den der anderen konstruktiv auseinanderzusetzen.
Jörn Didas | Ja, so sehe ich das.
Ralf M. Ruthardt | Im Zusammenhang mit der Externalisierung an Gesellschaft und Staat haben Sie auch von neoliberalem Denken gesprochen. Das Neoliberale kann ich in diesem Kontext nicht einordnen, dieweil die Neoliberalen, so wie ich es bisher verstehe, den Staat eher zurückdrängen und eben nicht, vielfache Erwartungen delegieren wollen. Da ist ja eher die Rede davon, dass der Staat sich auf sowas wie Infrastruktur, Bildung, Verteidigung und gesetzliche Rahmenbedingungen konzentrieren soll.
Jörn Didas | Ja, tatsächlich ist dies die Position des Neoliberalismus in Bezug auf den Staat. Was ich gemeint hab, ist die neoliberale Perspektive. Die Wirtschaft produziert anhand der Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger oder weckt diese Bedürfnisse, motiviert durch die Gewinnerzielungsabsicht der Unternehmen. Und dann wird verkauft und der Bürger sitzt zu Hause und konsumiert die Waren und Dienstleistungen.
Bildung bedeutet keine Missionierung.
Übertragen aufs Politische bedeutet dies, der Konsumbürger sitzt zu Hause auf der Couch und bestellt das politische Programm. Tatsächlich können aber Staat und Gesellschaft nicht analog zu einem Wirtschaftsunternehmen liefern. Wenn wir uns jedoch anschauen, welche Wortwahl im Alltag verwendet wird, dann ist dort von „der Staat soll liefern“ oder von „die Politik muss endlich liefern“ die Rede. Das finde ich total spannend, wenn selbst Politikerinnen und Politiker sagen, wir müssen liefern, als ob man wie ein Unternehmen agieren könne. Ähnlich krude finde ich den Satz „wir müssen die Menschen abholen“. Die Bürgerinnen und Bürger sind doch keine Kinder, die aus dem Kindergarten abgeholt werden wollen.
Ralf M. Ruthardt |Danke für die Einordnung. Ich bin sehr dabei, dass es auch für mein Dasein als Mensch zu kurz gesprungen ist, wenn ich mich auf einen Produktivitätsfaktor und auf den Konsumenten reduzieren lasse. Dies würde mein Dasein vom Sinn entkernen. Plötzlich dient mein Sein dann nur noch anderen und ich selbst habe quasi keine Seele mehr.
Einen Gedankensprung hin zu einer weiteren Formulierung, die man vor allem nach einer für eine Partei verlorengegangenen Wahl hört: „Wir müssen es besser erklären …“. Als ob Erzieher zu einem unmündigen jungen Menschen sprechen. Nun, lassen Sie uns das nicht vertiefen, sondern bitte nochmals zum Begriff des Liberalismus zurückkommen.
Neoliberalismus wird – wenn man sich beispielsweise auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung umschaut – als eine Denkrichtung des Liberalismus bezeichnet. Dabei stehen eine freiheitliche marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung mit den entsprechenden Gestaltungsmerkmalen wie private Verantwortung und so weiter im Mittelpunkt. Lassen Sie uns ein paar Momente über den Begriff „Liberalismus“ im weiten Sinn nachdenken.
Jörn Didas | Ich bin ein großer Freund des Begriffs „Liberalismus“, weil wir in einer liberalen Demokratie leben. Das Liberale wird häufig vergessen oder außen vorgelassen.
Wir reden meist nur von der Demokratie. Wenn ich meine Vorträge zu Demokratie halte, beginne ich gern bei der attischen Demokratie …
Ralf M. Ruthardt | … die attische Demokratie, die im antiken Griechenland des 5. Jahrhunderts vor Christi ihre vollständige Ausprägung erlangte.
Jörn Didas | Bei den Vorträgen frage ich die Teilnehmenden, wie man damals eigentlich in die Ämter gekommen ist. Dann überlegen die Leute, was sie vielleicht im Geschichtsunterricht gelernt haben. Das Spannende ist, dass es in aller Regel das Losverfahren und nicht die Wahl war.
Klar, man kann die attische Demokratie nicht mit der modernen Demokratie vergleichen. Trotzdem gibt es Grundaspekte, die mich immer wieder zum Nachdenken bewegen und die ich sehr spannend finde.
Jeder kann, soll oder gar muss sich einbringen.
Die attische Demokratie ging grundsätzlich davon aus, dass jeder Bürger gewählt beziehungsweise ausgelost werden kann. Also ein jeder kann, soll oder gar muss sich einbringen. Das ist Demokratie als Zumutung, ein für den Erhalt dieser Gesellschaftsform wichtiger Aspekt.
Und: Wir haben heute die Gewaltenteilung, die hart erkämpft worden ist. Und wenn wir uns anschauen, was Rechtsextreme mit als Erstes versuchen einzuschränken, dann sind das diese Freiheitsrechte und die Gewaltenteilung inklusive des Minderheitenschutzes. Deshalb betone ich das in meinen Vorträgen. Ich möchte, dass die Leute diesen Aspekt genau in den Blick nehmen. Denn in aller Regel wird nicht die Wahl abgeschafft. Auch in der DDR hat man gewählt; es war halt keine freie Wahl.
Ralf M. Ruthardt | Sie haben die Rechtsextremen und den Sozialismus der DDR angeführt. Kann man sagen, dass jede Art von extremistischer Politik versucht, die Freiheiten einzuschränken?
Jörn Didas | Ja, ich glaube tatsächlich, dass das immer ein entscheidender Aspekt ist. Da die Freiheit bei uns individuell ansetzt, also die Freiheit, wie ich mein Leben gestalten möchte. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft darauf achten, wo man aus einer solidarischen Perspektive die individuelle Freiheit gegebenenfalls begrenzen muss.
Salopp gesagt: Wenn manche Menschen grundständig glauben zu wissen, was für alle anderen gut ist und das dann mit Macht durchsetzen, dann ist es vorbei mit einer liberalen Demokratie.
Ralf M. Ruthardt | Das nehmen wir als Schlusssatz und ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
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