Das Gespräch mit Thomas L. Kemmerich ehem. MdL hat Ralf M. Ruthardt als Herausgeber des Magazins MITMENSCHENREDENim April 2025 geführt. Kemmerich ist FDP-Landesvorsitzender in Thüringen und Unternehmer.
Ralf M. Ruthardt | Lieber Herr Kemmerich, danke für Ihre Zeit. Ich habe in einem Strategiepapier von Ihnen gelesen, dass Sie eine liberale Renaissance fordern. Was verstehen Sie unter einer liberalen Renaissance?
Thomas L. Kemmerich | Erst mal vielen Dank, dass wir beide gemeinsam die Zeit haben, darüber zu diskutieren. – Wenn wir auf die Bundestagswahl 2025 blicken, dann haben etwa 38 % der Leute gesagt, dass sie die FDP im Deutschen Bundestag vermissen. Viele Menschen wollen eine liberale Kraft im Bundestag sehen. Ich sehe die FDP in der Tradition von Walter Scheel, von Hans-Dietrich Genscher, von Otto Graf Lambsdorff und zuletzt natürlich auch von Guido Westerwelle, um nur einige zu nennen. Die Genannten haben den Liberalismus streng aus dem Blickpunkt der Freiheit definiert. Daraus lässt sich viel Gutes und Zukunftsweisendes ableiten.
Ralf M. Ruthardt | Das von Ihnen erstellte Papier soll ein Bekenntnis zur Freiheit und zur sozialen Marktwirtschaft sein.
Thomas L. Kemmerich | Ja, in dem Arbeitspapier bekennen Parteifreunde und ich uns eindeutig zur Freiheit und zur sozialen Marktwirtschaft. Wir erleben in Deutschland massive staatliche Eingriffe und man kann daher geradezu von einer gesteuerten Marktwirtschaft sprechen.
Nennen wir einige Beispiele: Der Wohnungsmarkt wird mit einem Mietendeckel versehen, nachdem man mit falschen politischen Maßnahmen den Markt abgewürgt hat und nicht mehr weiterweiß. Oder nehmen wir die freie Meinungsäußerung: Es ist unbegreiflich, wie sehr sich hier Politik einmischt und irgendwelche Tatbestände, die unterhalb des Strafrechts liegen, unter Strafe gestellt werden sollen. Das hat ja leider auch in der FDP um sich gegriffen.
Ralf M. Ruthardt | Es wird zurzeit viel über Zölle gesprochen. Der US-Präsident Donald Trump hat diese Diskussion mit seinen Maßnahmen losgetreten. Gibt es darauf eine liberale Antwort?
Bekenntnis zur Freiheit und zur sozialen Marktwirtschaft
Thomas L. Kemmerich | Warum antworten wir darauf nicht mit Vorschlägen für einen wirklich freien Welthandel? Schon längst hätte es zwischen der EU und anderen Wirtschaftsräumen solche Handelsabkommen geben können. Das sind alles keine neuen Botschaften. Ich bin aber überzeugt, dass es dieser politische Sound ist, den viele Menschen vermissen. Deshalb haben uns viele Leute bei der Bundestagswahl nicht mehr gewählt.
Man muss mal auf die Zahlen schauen: Wir haben 2,2 Millionen Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl im Vergleich zu 2021 verloren. Alleine darin begründet sich das Plädoyer für eine liberale Renaissance. Es soll ein inhaltlicher und nicht nur ein personeller Neustart für die FDP sein. Die Leute suchen eine politische Kraft, deren Programm ihnen wieder Wachstum, Wohlstand und damit eine gute Zukunft ermöglicht.
Ralf M. Ruthardt | Jetzt sind wir mit den Beispielen, die Sie genannt haben, geradezu im politischen Mikromanagement angekommen. Sie sprachen das Thema Wohnungsbau an. Lassen Sie uns noch kurz beim Wohnungsbau bleiben, weil es – im Vergleich zur Meinungsfreiheit – kein emotional hoch aufgeladenes Thema ist. Ich denke, man kann am Wohnungsbau sehr schön erklären, wie viel Potenzial im Liberalismus steckt.
Thomas L. Kemmerich | Gerade in den Zentren unseres Landes herrscht ein für sehr viele Menschen erlebbarer Wohnungsmangel. Der führt zu einer enormen Preissteigerung. Das ist ein Ergebnis der jahrelangen Fehlsteuerung beziehungsweise einer Überregulierung.
Aus liberaler Sicht ist das ganz klar: Mit überbordenden Vorschriften und viel zu lang dauernden Genehmigungsverfahren ist nunmehr das Kind in den Brunnen gefallen. Am Wohnungsmarkt in Berlin ist das zu beobachten. Dann kamen vor allem die Leute von DIE LINKEN und DIE GRÜNEN auf die Idee, den sogenannten Mietendeckel einzuführen. Das hat dann dem letzten Investor die Freude daran genommen, tatsächlich zu investieren.
Der Wohnungsnot begegnete man mit bauen, bauen und bauen. Dazu braucht es schnelle Genehmigungen im Rahmen eines einfachen, sinnvollen Verfahrens. In vielen Kommunen ist man ja bereits seit Längerem dabei, in den Innenstädten die Lücken zu schließen, den Ausbau von Dachgeschossen zu vereinfachen oder auch eine Bebauung von singulären Geschossen zu ermöglichen. Letzteres meint, dass beispielsweise über einem Discounter wie Aldi oder Lidl Wohnraum entsteht.
Mit solchen einfachen Maßnahmen könnte man zügig am Wohnungsmarkt für Entspannung sorgen, was in der Folge die Situation bei den Mietpreisen entspannt. Das ist überhaupt kein Hexenwerk. Aber das geht natürlich nicht, wenn – wie in Berlin geschehen – die Bauverwaltung zehntausende Einheiten auf dem Tempelhofer Feld verhindert hat.
Das sind Sünden, die wir als Bürgerinnen und Bürger auszubaden haben. Ich erinnere an Katharina Dröge von DIE GRÜNEN. Die Chefin der grünen Bundestagsfraktion meinte dieser Tage, dass es ohne Erbe für junge Menschen kaum noch möglich sei, Wohneigentum zu erwerben.
Ralf M. Ruthardt | Dröge forderte die Union und SPD auf, mehr für eine gerechte Verteilung von Vermögen und bezahlbarem Wohnraum zu tun. Vermögen und Erbschaften seien in Deutschland zu ungleich verteilt. Es stellt sich da die Frage, ob quasi zur „Enteignung“ über die Vermögenssteuer oder Erbschaftssteuer aufgefordert wird.
Thomas L. Kemmerich | Das ist natürlich eine Sache, die die Wähler mit Schmerzen hören. Nochmals: Liberalisiert die Bautätigkeit. Vereinfacht die Genehmigungsverfahren. Konzentriert euch bei den Bauvorschriften auf das elementar Wichtige. Ich glaube, das ist die einzig wirkungsvolle Antwort auf die Wohnungsnot.
Ralf M. Ruthardt | Heutzutage sind viele Themen sehr komplex. Bleiben wir nochmals beim Wohnungsbau. Da liegt die Komplexität unter anderem darin, dass einerseits aus der Klimawende heraus Anforderungen an den Wohnungsbau gestellt werden. Zugleich gibt es einen Mangel an Fachkräften – auch im Bau und im Handwerk.
Zugleich baut die Deutsche Bahn AG gemeinsam mit der öffentlichen Hand geradezu Paläste; dabei brauche ich als einfacher Bürger in Stuttgart keine eleganten Lichtkegel im Bahnhof – mir würde es ausreichen, wenn ich, ohne bei Regen nass zu werden, in einen pünktlichen Zug einsteigen kann. Auch das ist etwas, was die Sache komplex macht: Anstelle sich auf Funktionalität zu konzentrieren, steht kosten- und ressourcenintensive Ästhetik zu oft im Vordergrund.
In der aktuellen Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und der Union ist viel davon die Rede, in was alles investiert werden soll. Da stelle ich mir erneut die Frage, wer das umsetzen, also planen und bauen soll? Wo sind die personellen Ressourcen? Man könnte in der Verzweiflung polemisch werden und die Frage stellen, in welchem Flieger der noch geschäftsführenden Außenministerin diese Fachkräfte eingeflogen werden.
Thomas L. Kemmerich | Sie haben von Komplexität gesprochen. Lassen Sie mich darauf mit drei Punkten eingehen.
Ich fang mal mit dem Einfachsten an, und zwar mit der Leistungsbereitschaft dieser Gesellschaft. Viele diskutieren in Deutschland sehr gerne über eine 4-Tage-Woche mit 30 Stunden. Wenn man nach Europa schaut, fällt schnell auf, dass der Deutsche im Durchschnitt etwa 200 Jahresarbeitsstunden weniger arbeitet als ein Franzose, ein Spanier oder ein Italiener. Wir reden hier von EU-Mitgliedern und nicht von exotischen Ländern. Ich bin überzeugt, dass viele Leute einig sind, dass wir aus der Krise nur dann herauskommen, wenn wir alle die Ärmel hochkrempeln. Es gilt also, in die Hände zu spucken und – da gab es doch diesen Song – das Bruttosozialprodukt zu steigern. Die Leistungsbereitschaft dieser Gesellschaft; das ist der Punkt 1. Das hat auch mit so banalen Dingen zu tun, wie die Bundesjugendspiele wieder mit Maßband und Stoppuhr stattfinden zu lassen – und nicht leistungsfrei und anerkennungsfrei.
Der nächste Punkt ist, dass unser Staat viel zu fett geworden ist. Wir haben einen permanenten Aufbau an staatlichen Arbeitsstellen in den Kommunen, den Bundesländern und im Bund. Gleichzeitig wird auf fast allen Ebenen des Staates agiert, wie noch in den 80er- oder 90er-Jahren. Wir als Unternehmer wissen, wenn wir heute noch so agieren würden, wären wir längst weg vom Markt.
Ein Beispiel: Letztens kam eine Meldung vom dbb beamtenbund und tarifunion: „Aktuell fehlen dem Staat demnach mindestens 500.000 Beschäftigte. Vom Fachkräftemangel betroffen sind praktisch alle Sektoren der Daseinsvorsorge, etwa Bildung, Gesundheit, Infrastruktur sowie Innere und Äußere Sicherheit.“ – Ich sage, was für eine tolle Nachricht! Wenn wir endlich hingehen und automatisieren, die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz einsetzen und die Prozesse auf eine moderne, digitale Form stellen, dann brauchen wir – von der Inneren und Äußeren Sicherheit abgesehen – die hunderttausende zusätzlichen Jobs beim Staat nicht.
Mit moderner Digitalisierung entlasten wir die öffentlichen Haushalte. Denn eine halbe Million Beschäftigte kosten uns 40 bis 45 Milliarden Euro pro Jahr. Womöglich hätte es die aktuellen Schuldenpakete von Friedrich Merz gar nicht gebraucht.
Mein dritter Punkt ist natürlich eine Migration, die uns genau an diesen Stellen stark macht, wo wir die Leute brauchen. Nicht ungesteuert und vor allen Dingen keine illegale Migration. Vielmehr gilt es, die Leute anzuwerben, die uns als Gesellschaft Mehrwerte bringen. Dann lasst uns im Ausland Anwerbezentren eröffnen, wo die Leute aus allen Teilen der Welt sich bewerben können. Wer angemessen die deutsche oder eine europäische Sprache spricht und über eine bei uns benötigte Qualifikation verfügt, der kann sicher und mit unserer Unterstützung einreisen und ist willkommen.
Ralf M. Ruthardt | Ich muss den Punkt aufgreifen, dass wir in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Nationen 200 Stunden pro Jahr weniger arbeiten. Hier könnte das Gegenargument angemessen sein, dass dafür die Leute in den genannten Ländern deutlich früher in Rente gehen. Die Frage ist, ob wir uns überhaupt vergleichen wollen oder einfach auf unsere Leistung fokussiert bereit sind, einen Zahn zuzulegen.
Wir sprechen über Leistungsbereitschaft und von der Bereitschaft der Menschen, Eigenverantwortung zu übernehmen. Dazu gehört aber auch, dass man den Menschen Handlungsspielraum zubilligt. Ich erinnere mich an eine Management-Methode: Diese besagt, man kann nicht nur die Verantwortung in einer Sache zuweisen, sondern man muss ihm auch die Kompetenzen – also den Gestaltungs- und Handlungsspielraum – geben. Womöglich muss der Staat hergehen und dem einzelnen Bürger wieder deutlich mehr Kompetenzen zugestehen. Nicht nur die Verantwortung geben, sondern eben auch mehr Kompetenz, mehr Gestaltungsspielraum.
Einen zweiten Gedanken möchte ich noch einbringen: Oft wird über die Motivation der Leute und Work-Life-Balance gesprochen. Ich erlebe junge Leute, die wirklich etwas bewegen wollen. Die wollen eine Innovation kreieren, die Herausforderungen annehmen und erfolgreich bewältigen. Die haben Freude in ihrem Job, und Arbeit ist ein erfüllender Bestandteil ihres Alltags. Ich habe den Eindruck, dass die Forderung einer weiteren Reduzierung von Arbeitszeiten womöglich vor allem der Daseinsberechtigung von Gewerkschaften oder anderer Gruppen geschuldet ist.
Thomas L. Kemmerich | Ja, ich kann Ihnen da nur Recht geben. Gott sei Dank haben wir motivierte junge Leute – auch wenn man hier fast schon von Exoten sprechen kann. Wir haben jedoch ein Steuersystem, das extrem leistungsfeindlich ist. Die Leistungsträger, die Sie gerade beschreiben, die kriegen mit ihrer Motivation und Ausbildung überall auf der Welt einen Job. Unsere Abgaben in Deutschland sind kein Beitrag, um solche Leistungsträger zu halten. Wir müssen mit den weltweiten Märkten in Konkurrenz treten. Dazu muss sich unsere Steuer- und Abgabenpolitik grundlegend ändern. Das geht nur, wenn sich der Staat zugleich deutlich verschlankt und unsinnige oder unnötige Ausgaben – ich erspare uns jetzt das Thema Fahrradwege in Peru – unterlassen werden.
Ich sage ganz eindeutig: Der Staat muss da stärker werden, wo er Mehrwerte schafft, etwa beim Thema Bildung. Sie sprachen eben noch von Kompetenzen. Das hat ja auch etwas mit dem Bildungssystem zu tun. Wenn junge Leute in der Schulbildung nicht vermittelt bekommen, dass es sich beim Dreisatz nicht um ein Musikstück handelt, dann ist das einfach zu wenig.
Und stärker muss der Staat auch dort werden, wo er die Sicherheitsstruktur des Landes oder in Europa aufrechterhalten muss. Und auch da haben wir große Defizite. Ja, mit der Infrastruktur als wesentlicher staatlicher Aufgabe können wir hier gleich weitermachen. Nun, auf diese drei Dinge soll sich der Staat konzentrieren und seine Aufgabe richtig und gut machen. Alles Weitere ist zunächst unsere Privatsphäre! Da braucht es niemanden, der den Fleischkonsum regelt. Zu diesen Dingen kann man aufklären, was gesund ist, aber schlussendlich liegen sie in der Freiheit des Einzelnen.
Der Staat ist übergriffig geworden, und das muss sich wieder verändern.
Ralf M. Ruthardt | Ich habe eine Hypothese, und mich interessiert dazu Ihr Kommentar. Meine Hypothese: Dort, wo zu viele Menschen mit einem geringen Bildungs- und Berufserfahrungshintergrund in Parlamenten sitzen oder gar Regierungsämter begleiten, verrennen sich diese Akteure in Nebensächlichkeiten, weil diese scheinbar einfach zu regeln sind. Damit sind diese Leute dann beschäftigt und können von sich reden machen. Den eigentlichen und großen Herausforderungen gehen sie aus dem Weg oder holen sich Rat von außen, den sie selbst überhaupt nicht werten können. Sie machen somit unsinnige oder nebensächliche Dinge oder sind – bei den komplexen Themen – von Dritten abhängig, die womöglich eine eigene Agenda verfolgen.
Thomas L. Kemmerich | Da gehe ich mit Ihnen einig. Und natürlich haben wir das Problem. Solche Leute lassen natürlich auch keinen zu, der fachlich oder methodisch besser ist als sie selbst. Nur Menschen, die wirklich souverän im Thema stehen, holen sich auch Leute an Bord, die sie herausfordern und die helfen, eine Sache besser zu machen. Wie wäre es, wenn ein Minister über eine Vorqualifikation im jeweiligen Amt haben sollte oder wenigstens sein parlamentarischer Staatssekretär über eine solche verfügt?
Ich erinnere nur an die ewigen Diskussionen mit den sogenannten Wirtschaftsweisen. Spätestens nach der Regierungszeit von Gerhard Schröder stehen die fünf Wirtschaftsweisen permanent im Widerspruch zu den finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen der jeweiligen Bundesregierung. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die fünf Institute mit großem finanzpolitischen und wirtschaftspolitischem Sachverstand mahnen die Regierung – und die politisch Verantwortlichen flüchten sich in Ausreden und ignorieren die Hinweise. Das Ergebnis sehen wir: Aktuell sind wir im dritten Jahr einer Rezession, und Deutschland ist Schlusslicht in allen relevanten Vergleichsstatistiken.
Ralf M. Ruthardt | In unserer parlamentarischen Demokratie haben natürlich die Parteien einen besonderen Einfluss auf die politische Willensbildung. Und sie stellen natürlich die personellen Ressourcen, die nachher in der Regel in Amt und Würden kommen.
Was machen die Liberalen, um mehr Sachverstand in die Parlamente zu kriegen?
Klar, man könnte jetzt ironischerweise anmerken, dass die FDP im aktuellen Bundestag nicht mehr vertreten ist; aber das kann ja etwas Temporäres sein.
Thomas L. Kemmerich | Das ist natürlich eine technische Frage. Wenn wir uns über die Inhalte klar sind, kann man zum Beispiel die Listen öffnen. Wir sind quasi in einer Listendemokratie. Das führt dazu, dass man manchmal nur bedingt geeignete Leute auf der Liste stehen hat.
Im Sinne eines intellektuellen Fortschritts einer Partei und dieser Gesellschaft ist die bisherige Handhabung nicht unbedingt dienlich. Warum also nicht sowohl die Kandidatenlisten als auch durchaus Regierungskabinette tatsächlich für nicht parteigebundenen Sachverstand öffnen? Darüber kann man nachdenken, und andere Länder haben ja durchaus parteilose Experten in die Regierung geholt. Ich will in diesem Zusammenhang auf Robert Habeck zu sprechen kommen. Der hat das Wirtschaftsministerium übernommen, ohne dass er erkennbar dafür eine fachliche Kompetenz mitgebracht hat. Noch mehr, er hat gleichzeitig Freunde aus den NGOs als Abteilungsleiter in das Ministerium geholt. Es scheint, das eigene Netzwerk war wichtiger gewesen als der im Ministerium vorhandene Sachverstand. Das führte dann zu diesen wahnwitzigen Entscheidungen, die Deutschland wirtschaftlich maßgeblich da hingebracht haben, wo wir heute stehen.
Das gab es früher so nicht. Da hat man zwar die politische Führung an der Spitze eines Ministeriums ausgetauscht, aber die Abteilungs- und Referatsleiter blieben und mit ihnen der Sachverstand – und das war sehr dienlich. Also ich glaube, man muss da neue Formen finden.
Ich glaube, es wäre auch eine große Motivation für Leute mit unternehmerischer Erfahrung zu sagen, ich beteilige mich am Wirken einer Regierung; in welcher Form auch immer. Aber richtig gute Leute, und das muss man ja auch mal ansprechen, sind finanziell ganz anders unterwegs als beispielsweise Abgeordnete im Deutschen Bundestag.
Ralf M. Ruthardt | Für mich stellt sich da die Frage, warum es klugen und erfahrenen Menschen am Ende maßgeblich ums Geld geht. Womöglich gibt es Leute, die eine finanzielle Zufriedenheit haben und mehr die Sache sehen als finanzielle Vorteile oder eitle Ehre.
Jetzt haben Sie ja eine ganze Liste von Themen angesprochen. Es geht um den Umbau von Verwaltung, des Sozialstaats und der Dinge mehr. Wie sehr steht der Föderalismus dabei im Weg?
Thomas L. Kemmerich | Das ist immer eine bequeme Entschuldigung, wenn man nicht weiterkommt. Ich glaube aber, dass alle Ebenen dieses Staates – also Bund, Länder und die Kommunen – am Fortkommen des Landes interessiert sind.
Ich setze auf die Subsidiarität: Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie tatsächlich am ehesten wirken. Damit kommt es nicht zu diesem Kompetenzgerangel. Bisher werden zu oft durch die politischen Parteien Entscheidungen nur deshalb blockiert, weil man im Verhandlungsprozess für die eigene politische Idee etwas heraushandeln möchte. Am Ende handeln wir jedoch nicht das Beste für Deutschland heraus, wie man am Beispiel der Digitalisierung sehen kann. Wir merken an allen Ecken und Enden, dass es nicht funktioniert. Dann muss man – sehr vereinfacht gesagt – den Föderalismus dort aufheben, wo er keinen Sinn macht.
Nehmen wir eine Autozulassung. Die ist heute so organisiert, dass die Abwicklung der Zulassung eines Kraftfahrzeugs vom Bund auf die Länder und weiter auf die Kommune übertragen ist. Deshalb gibt es eine Kfz-Zulassung in Ihrer und meiner Stadt. Das ist in Anbetracht der digitalen Möglichkeiten – völliger Unsinn. Warum stellen wir nicht eine zentrale IT-Infrastruktur, also die Server, beispielsweise nach Flensburg? Es ist ja völlig unerheblich, wo die Dinger stehen. Sobald ein Kraftfahrzeug erstmals für den deutschen Markt relevant wird, weil hier produziert oder nach hier importiert, wird es einmalig angemeldet und bekommt eine Kennzeichnung. Der Rest geht dann online mit den entsprechenden Nachweisen. Damit kann jedes Auto in seiner Laufzeit in Deutschland umgemeldet werden. Wenn es den deutschen Markt verlässt, wird es einmal abgemeldet. Mit dem skizzierten Vorgehen wird deutlich, welche beträchtlichen Möglichkeiten wir haben, um den Staat schlanker zu machen und zugleich den Servicegrad gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu erhöhen.
Ralf M. Ruthardt | Wir haben in Deutschland 1994 das Postministerium aufgelöst – da sind dann Zehntausende von Beschäftigten mehr oder weniger bei vollem Lohn rausgenommen worden. Ohne jetzt auf die Details einzugehen, kann gesagt werden, dass wir heute eine respektable Deutsche Telekom AG und Deutsche Post AG (DHL) haben. Wir bekommen also schon etwas wirtschaftlich Erfolgreiches hin, wenn wir denn den gesellschaftlichen und politischen Willen haben.
Lassen Sie mich, Herr Kemmerich, einen Gedankensprung machen. Demnächst ist der Bundesparteitag der FDP. Was wird Ihr Beitrag auf dem Bundesparteitag sein?
Thomas L. Kemmerich | Ich biete mich meiner Partei an, in diesen hier besprochenen Themenkreisen mitzuarbeiten. Seit rund 35 Jahren bin ich selbstständiger Unternehmer. Ich bin sechsfacher Vater. Und ich habe eine ganze Menge Lebenserfahrung – auch im politischen Geschäft. Da gibt es Höhen und Tiefen, und die eine Geschichte kennt vermutlich jeder politisch Interessierte in Deutschland. Nun, ich bin motiviert, habe den Gestaltungswillen und stelle mich gerne dem Votum der Delegierten.
Ich möchte in der FDP – ganz im Geiste von Genscher, Westerwelle und so weiter – einen Beitrag leisten, damit wir uns erfolgreich auf eine konsequente liberale Neubesinnung fokussieren. Bei den inhaltlichen Diskussionen müssen wir den Menschen in Deutschland zeigen, dass wir deren Bedarf an einer wahrhaftig liberalen Kraft verstanden haben. Hier kann und soll die FDP ein politisches Angebot an die Menschen formulieren und es konsequent im politischen, medialen Diskurs vertreten.
Ich glaube, dass ein solches Signal viel wichtiger ist, als am Ende nur zu wissen, wer den Parteivorsitz übernimmt. Das ist natürlich auch wichtig, weil es die Organisationsstruktur und damit verbundene Köpfe braucht. Aber die Leute kommen nicht wegen Köpfen zurück zur FDP, sondern wegen einer Rückbesinnung auf die liberalen Werte. Auf die Werte der Freiheit. Auf die Werte der sozialen Marktwirtschaft. Wir sind die Verteidiger der Freiheit, das andere sind linke oder rechte Sozialisten.
Ralf M. Ruthardt | Danke für das Gespräch und alles Gute für den Parteitag Mitte Mai.
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